Aufschwung
Sinfonie oder Liederzyklus? Bei Gustav Mahlers „Lied
von der Erde“ ist die Abgrenzung schwierig. Während
meist die Klangpracht des riesigen Orchesters den
sinfonischen Anteil in den Vordergrund rückt, erlaubt
die von Arnold Schönberg raffiniert begonnene und
von Rainer Riehn vollendete Bearbeitung für 14
Instrumente eine intimere Sicht auf den vokalen
Aspekt der Komposition. Wie sehr sich das lohnt,
zeigt die SACD-Neuaufnahme von Gerhild Romberger
und Stephan Rügamer mit dem bestens
disponierten Detmolder Kammerorchester, das unter
der Leitung von Alfredo Perl mit kammermusikalischer
Geschmeidigkeit ihren Ausflug in die chinesische
Vorstellungswelt des Fin de Siècle begleitet.
Aufreger
Ausgangspunkt für die Reise in die ostasiatische
Philosophie ist Hans Bethges zu Beginn des 20.
Jahrhunderts äußerst populäre Sammlung „Die
chinesische Nachtigall“, eine Übertragung von uralten
Gedichten aus dem Reich der Mitte. Dass es dabei
nicht immer mit höchster philologischer Akkuratesse
zugeht, tut der Wirkung der Texte keinen Abbruch.
Und auch Mahler selbst hat dann noch kräftig in die
literarische Vorlage eingegriffen: Das Ende von „Der
Abschied“ stammt fast komplett aus seiner Feder. Die
Gegensatzpaare von Alter und Jugend, Frühling und
Herbst, Einsamkeit und Gesellschaft prägen das
Werk, und nicht zuletzt Leben und Tod, die für Mahler
im Kompositionsjahr 1907 mit dem qualvollen Tod der
Tochter und eigener schwerer Erkrankung von
besonderer Bedeutung waren.
Auftakt
In der Kammermusikfassung kommt die Qualität der
Texte bis in die feinsten Nuancen besonders zur
Geltung. Im Gegensatz zu der Orchesterversion
haben Gerhild Romberger und Stephan Rügamer
Raum auch für das zarteste Pianissimo, und ihre
beeindruckenden dynamischen Möglichkeiten können
sich ungehindert entfalten. Dabei braucht das
Publikum auf die klangliche Raffinesse des Originals
keineswegs zu verzichten: Die Instrumentationskunst
Schönbergs und Riehns setzt durch die aparte
Besetzung inklusive Harmonium und Celesta, sowie
zauberhafte Klangfarbenmischungen eigene Akzente.
Schon der Anfang lässt aufhorchen: Der markante
Hornruf wird mit gemeinsamen Trillern von Klavier
und Holzbläsern fortgeführt; ein unwirklich-exotischer
Klang, der den Zuhörer gleich in eine ferne Welt
entführt.
Aufbruch
Das SACD-Debut des Detmolder Kammerorchesters
ist natürlich in feinstem dreidimensionalem MDGRaumklang
produziert. Damit gelingt eine besonders
plastische Abbildung der irisierenden Partitur. Perfekt
eingebettet, werden die beiden Solisten unter Alfredo
Perls Stabführung sensibel durch das gewaltige Werk
geleitet. Das Fernost-Bild der vorletzten Jahrhundertwende
erfährt eine erstaunliche Wiederauferstehung
– und weckt auch heute noch Fernweh und
Sehnsucht – zumindest des Öfteren die Wiederholungstaste
zu drücken.