umziehen
Attentat auf David Bowie! Während die Künstlerin
sich im Hotelzimmer auf ihren Auftritt in der
Carnegy Hall vorbereitet, heulen Polizeisirenen
durch die Straßenschluchten Manhattans, Schüsse
fallen, in den allgegenwärtigen Newschannels
überstürzen sich die Spekulationen… 1982 hat
Jean-Jacques Schuhl ein fiktives Endzeitdrama für
den Rundfunk geschrieben, und der Fassbinder-
Weggefährte Peer Raben machte daraus eine
Radio-Oper für die großartige Ingrid Caven. Das
ambitionierte, damals in der nahen Zukunft
angesiedelte Stück ist verschollen, einschließlich
der Sendebänder. Oliver Held hat gemeinsam mit
Michael Emanuel Bauer, langjähriger Mitarbeiter
Rabens, für die junge Sängerin Ibadet Ramadani
eine Neufassung erstellt, die die historische
Vorlage mit zeitgenössischem Jazz zu einer
packenden Fusion-Inszenierung verdichtet.
ausziehen
Natürlich dürfen dabei so bekannte Caven-Songs
wie „Trans-Europa-Tango“ oder „Polaroid Cocaine“
nicht fehlen; allerdings vermeiden die neuen
Arrangements jegliche Chansonseligkeit: Die junge
Sextettformation um den Berliner Schlagzeuger
Ernst Bier sorgt mit frischem Modern Jazz für ein
durch und durch aktuelles Klanggeschehen.
Besonderer Clou: Die verlorenen Orchesterpartien
ersetzt Michael Emanuel Bauer durch eine originale
Mighty Wurlitzer Kinoorgel, die das Werk, das
zwischen Hörspiel, Jazzoper, Konzert und
Audiocollage changiert, um eine cineastische
Dimension erweitert.
abziehen
Oliver Helds Textfassung verlegt die Handlung in
die Vergangenheit, die beim Original noch Zukunft
war. Durch authentische Tondokumente und
Reminiszenzen an die Ereignisse, Kultur und
Lebensgefühl der späten 1980er Jahre entsteht ein
Panorama des damaligen Zeitgeistes, der „das
Ende der Geschichte“ als unumstößliche
Gewissheit verinnerlicht hatte. Dazu passen so
melancholische Songs wie „American Bar“ oder
auch die mehrfachen Eindrücke aus „Zimmer
1050“, Nachbarsuiten eingeschlossen…
anziehen
Modern ist auch die Aufnahmetechnik: Im
dreidimensionalen 2+2+2-Sound entfalten die
unterschiedlichen Handlungsräume eine Plastizität,
die mit Händen zu greifen ist. Sei es die intime
Situation des Hotelzimmers, die aus dem
Fernseher gellenden Sensationsmeldungen, die zur
Mighty Wurlitzer rezitativisch angelegten
Erzählerpartien – das raumgreifende
Klangpanorama zieht das Publikum mitten hinein
ins Geschehen – „das ist ja wie in einem Lied!“…
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https://www.youtube.com/watch?v=UfpgzCkS9Zc