Faszinosum
Canons haben es ihm angetan. Und dazu die typischen,
mit äußerster Präzision austarierten hoch komplexen
zeitlichen Abläufe, die seine Studien – jenes
Wohltemperierte Klavier des 20. Jahrhunderts -
einzigartig machen. Und wenn bei diesen Anforderungen
auch noch ein zweiter Konzertflügel ins Spiel kommt,
wird klar, warum Conlon Nancarrow diese Studies
niemals selbst aufführen konnte.
Zielpunkt
Man nehme einen vierstimmigen Doppelkanon für zwei
Klaviere, lasse das zweite Instrument 20 Sekunden
später einsetzen und so viel schneller spielen als das
erste, dass beide im gemeinsamen Schlussakkord
zusammenkommen. Der beste Pianist muss scheitern
und auch die Lochstreifentechnik versagt beim Versuch,
die Vorgaben Nancarrows für dessen Study No. 40 exakt
umzusetzen. Kein Wunder, dass 19 Jahre zwischen der
Komposition und der Uraufführung vergingen: Erst die
Ergänzungen zweier Selbstspielklavier mit moderner
Computertechnik macht möglich, dass wir Nancarrows
Werke tatsächlich so erleben, wie der amerikanische
Ausnahmekomponist sie Mitte der siebziger Jahre des
20. Jahrhunderts geschaffen hat.
Rechenkünste
Die Beschreibung der einzelnen Canons liest sich wie
eine mathematische Formelsammlung. Dabei gehört No.
33, ein zweistimmiger Canon im Geschwindigkeitsverhältnis
„Wurzel aus 2“, zu den einfacheren Lösungen.
Zusätzlich wechseln die Tempi auch noch zwischen den
Stimmen, so dass – wundersame kompositorische
Fügung – beide gemeinsam beginnen und in einem
unvergleichlichen Klangrausch enden.
Lebenswerk
Die Neuaufnahme der Studies for Player Piano hätte es
ohne Jürgen Hocker nie gegeben: Der fanatische Fan
des amerikanischen Komponisten war es, der Conlon
Nancarrow immer wieder in Mexiko besuchte, er war es,
der jahrelang nach geeigneten Selbstspielklavieren
suchte, der sie restaurieren ließ und der Kopien der
Original-Lochstreifen anfertigte, um die Nancarrow-
Werke auf seinen beiden Bösendorfer- und Fischer-
Flügeln mit speziell präparierten Hämmern erklingen zu
lassen. Und Hocker war es auch, der den
Musikelektroniker Horst Mohr und den Ingenieur Walter
Tenten aufstöberte, ohne deren Hilfe die Uraufführung
der Studies für zwei Klaviere nie gelungen wäre.