Getöse
Welch ein Gepolter! „Kommt mit Zacken und mit
Gabeln“ werden die heidnischen Brockenanrainer
aufgefordert, um den missionierenden Christen im
„Rundgeheule“ einen gehörigen Schrecken
einzujagen. Goethes anspielungsreiche Ballade
vertont der junge Felix Mendelssohn Bartholdy zu
einem furiosen Tongemälde zwischen Sinfonie und
Chorballade, das den feinen Humor des
Dichterfürsten auf grandiose Weise umsetzt.
Zusammen mit drei Konzertouvertüren beschließt „Die
erste Walpurgisnacht“ den vielgelobten MDGMendelssohn-
Zyklus des Musikkollegium Winterthur
diesmal unter der Stabführung von Chefdirigent
Douglas Boyd.
Gaukelei
Jenseits des äußerlichen Spektakels ist „Die erste
Walpurgisnacht“ ein topaktuelles Plädoyer für
religiöse Toleranz. Der wilde Spuk, sehr irdischen
Ursprungs, kommt dennoch zu seinem Recht: Das
jault und knallt, dass es eine Freude ist –
offensichtlich erfolgreich, denn am Ende siegt das
Licht, dessen rauchfreies Erscheinen mit gar nicht
genug Pathos besungen werden kann… Die Solisten
und die Zürcher Sing-Akademie haben offensichtlich
einen Heidenspaß am opulenten Klangzauber.
Goldgrube
Während Mendelssohn Goethes Dichtkunst über alles
schätzte, ließ er an Victor Hugos Tragödie „Ruy Blas“
kein gutes Haar. Einem wohltätigen Zweck zugute
komponierte er dennoch auf drängende Nachfrage
eine Ouvertüre – der er für eine Wiederholungsaufführung
vielleicht nur halb im Scherz statt des
originalen Titels den Namen „Ouvertüre zum Theater-
Pensionsfonds“ gab… Bis heute gehören die
Ouvertüren, insbesondere „Die Hebriden“, zu
Mendelssohns beliebtesten Kompositionen. „Die
schöne Melusine“ hat auch schon Richard Wagner
fasziniert: Der „fischartige“ Beginn des
Nixenmärchens findet sich später in der Ouvertüre
zum „Rheingold“ wieder!
Genussexperten
Mendelssohn hat verbale Ausdeutungen seiner
programmatischen Werke stets abgelehnt;
musikalische Gedanken seien zu bestimmt, um sie in
Worte zu fassen. Umso unbefangener kann die Musik
pur genossen werden - besonders gut im
hochauflösenden und detailreichen dreidimensionalen
2+2+2-Klangbild, das die SACDs von MDG
auszeichnet. Doch Vorsicht: Empfindliche Gemüter
könnten in der spannend plastischen Wiedergabe der
„Walpurgisnacht“ das Grausen bekommen. Herrlich!