Umstand
Holger Falk und Steffen Schleiermacher erweisen sich einmal mehr als die idealen Interpreten dieser facettenreichen Musik. Falks wandelbarer Bariton begleitet den Zuhörer vom rauchigen Nachtclub der „Rue Chagrin“ in die Synagoge, verweilt kurz beim Kinderspielplatz, bevor die Lieder nach Byron mit Blues-Anklängen auf die Baumwollfelder Amerikas entführen. Schleiermachers Klavierspiel ist dabei Wegweiser und Stolperstein, Tankstelle und Rastplatz – große Kunst in der kleinen Form!

Abstand
Auch Germaine Tailleferre bedient sich gern polytonaler Harmonik; zuweilen bewegt sich das Klavier in harmonischen Gefilden, die die Gesangsstimme nicht einmal aus der Ferne streift – besonders ausgeprägt in „Vrai Dieu“ aus den „Six Chansons francaises“. Andere Stücke erinnern in berührender Schlichtheit dagegen an Kinderlieder; die Assoziation an Abzählreime wird auf die Texte des Surrealisten Jean Tardieu dadurch perfekt. Und auch eine „Vocalise-Étude“ findet sich, die in ihrer Seltsamkeit allerdings beim Hörer große Fragezeichen hinterlässt…

Einstand
Im Gegensatz zum umfangreichen Oeuvre ihrer Kollegen aus der „Groupe des Six“ ist das Liedschaffen Tailleferres eher knapp bemessen; zudem ist manches Lied, das in Briefen oder Werkübersichten Erwähnung findet, nicht auffind- oder aufführbar. Holger Falk und Steffen Schleiermacher ergänzen die Auswahl aus Melodies und Chansons der originellen Französin deshalb mit weiteren Stücken aus dem überbordenden Fundus, den Darius Milhaud der Nachwelt hinterlassen hat.

Vorstand
Von geradezu archaischer Kraft strotzen die „Six chants populaires hébraïques“ von Darius Milhaud, der sich tief im Judentum verwurzelt sah. Ganz anders als die zauberhaft duftigen Miniaturen des „Catalogue des Fleurs“ erschüttern die hebräischen Gesänge durch ihre Unerbittlichkeit und bringen damit die existenzielle Beziehung des verletzlichen Menschen zu seinem übermächtigen Schöpfer auf den Punkt.